Konjunktiv (Möglichkeitsform)

Axel und seine Schwester besuchten den Waldorfkindergarten. Dort spielten die Kinder sehr viele Rollenspiele: "Ich wäre der Vater, du wärst die Mutter, wir würden jetzt einkaufen gehen." So begleiteten die Kinder ihr Spiel mit Sprache.

Axel war dabei, aber nicht in der Lage, seine Ideen entsprechend zu verbalisieren. Er dachte sich vielleicht seinen Teil, griff nach dem Puppenwagen und fuhr damit durch den Kindergarten. (Zu Hause bekam er eine Puppe und legte sie ins Bett oder setzte sie an den Puppentisch und spielte den Alltag nach - wenn auch nicht oft aber als er die Puppe neu hatte) Die Kinder im Kindergarten schrieen um Hilfe: "Axel nimmt uns die Puppe weg!"

Wenn wir ein Kind zu Besuch hatten, konnte ich Axels Spielverhalten übersetzen und das Spiel verlief friedlich. Das Besuchskind verstand nach einer Erklärung Axels Verhalten und spielte mit. Jedoch im Kindergarten war das wohl nicht so und so wurde Axel häufig missverstanden und nur extrem selten mal von einem Kind eingeladen.

Schließlich beschlossen wir, Axel wegen der häufigen Hörprobleme und dieser Sprachprobleme in die Schule für Hörgeschädigte zu geben. Wir gingen davon aus, dass normale Hörgeschädigte ähnliche Verständigungsprobleme haben müssten und Axel dort lernen würde, sich hinreichend verständlich zu machen und dadurch Missverständnisse in Zukunft vermieden werden könnten.

Stattdessen erfuhren wir, dass "geistig behinderte Kinder" nicht kausal denken könnten geschweige denn in die Lage versetzt werden könnten, Fragegebärden zu benutzen.

Jeden, den ich fragte, wie Hörgeschädigte den Konjunktiv ausdrücken oder lernen würden, drückte sich vor einer Antwort. Die nicht wirklich gebärdenkompetenten Lehrkräfte konnten diese Frage nicht beantworten.

In der Vorklasse (mit 7 Jahren) gab es eine Zeit, in der Axel auf Spaziergängen immer wieder die Pferdekoppeln betrachtete und falsche Zahlenangaben machte oder Pferde benannte, die nicht da waren oder Pferde, die da waren für nicht existent erklärte. Das war aber nur eine relativ kurze Zeit. Ich war gerade dabei zu überlegen, welche Bedeutung dieses Verhalten wohl habe, da bekam Axel Schnupfen mit Hörproblemen und die ganze Entwicklung stoppte. Erst ein Jahr später (mit 8 Jahren) setzte dieses Thema wieder ein. Nun deutete er auf der Fahrt zu verschiedenen Therapien oder in die Stadt immer wieder auf die Wege, die wir nicht fahren mussten. Ich begann bereits an seinem Sinn für Realität zu zweifeln - bisher hatte er mir immer genau gesagt, wie ich zu fahren habe - aber dann kam mir die Idee mit dem Konjunktiv. Da ich immer noch keine Idee hatte, wie man den Konjunktiv per Gebärde ausdrücken könnte, formulierte ich einfach. Später ergänzte ich die Gebärde für "VIELLEICHT", damit irgendein Ausdrucksmittel für Axel ins Spiel kam. Ich glaube aber, dass Axel merkte, dass das Zeichen nicht wirklich passte.

Im folgenden Winter (mit 9 Jahren) kann ich mich erinnern, dass wir in der Zeit, wenn Axels Schwester Zirkus-AG hatte, einen langen Spaziergang machten. Wir liefen meist an der Usa entlang. Es war Herbst oder Winter und sehr kalt und windig. Axel blieb auf jedem Spaziergang unzählige male stehen und gebärdete: AUSZIEHEN, SCHWIMMEN, ABTROCKNEN, ANZIEHEN. Es war klar, dass er dieses alles nicht real machen wollte. Aber er wollte sich wohl über diese Möglichkeit oder Unmöglichkeit mit mir unterhalten. Ich versuchte so gut ich konnte, seine Gedanken zu versprachlichen und mit ihm inhaltlich darüber zu reden. Mehr konnte ich nicht tun.

In Folge werde ich einige Entwicklungsphasen aus dem Lernprozess zum Thema: "Konjunktiv" beispielhaft herausgreifen. Diese Phasen hatte ich in Axels "Wochenendberichten", die ich jede Woche für die Schule erstellte, festgehalten. auf dem Baum

Auch Begriffe wie REAL, WIRKLICH, Phantasie, Traum, Wunsch, Hoffnung ließen sich jetzt - zu Hause oder im Kindertanzkreis der Lebenshilfe - erarbeiten, während in der Schule zum wiederholten male die Farben (die Axel schon in der Vorklasse gelernt hatte) und ähnliche Themen des Grundwortschatzes in Gebärden erarbeitet wurden. wenn ich da klettern  würde, dann?

(Sabine Häusler)

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