Warum habe ich keinen Bruder, der nicht behindert ist? Originalausschnitt aus der Wetterauer Zeitung, Mai 2004

Autorin Marlies Winkelheide spricht auf Einladung der Lebenshilfe über Geschwister von behinderten Kindern

Marlies Winkelheide referiert über ihre Erfahrungen auf
  Freizeiten mit Geschwisterkindern Die Elterngruppe Down-Syndrom der Lebenshilfe Friedberg veranstaltete kürzlich in den Räumen der Lebenshilfe einen Vortrag zum Thema: Geschwister von behinderten Kindern. Als Referentin hatte sie Marlies Winkelheide gewonnen, die eigens aus Bremen angereist war. Die diplomierte Sozialwissenschaftlerin arbeitet seit 25 Jahren mit verhaltensauffälligen und autistischen Kindern mit dem Schwerpunkt: behinderte Menschen und ihre Angehörigen.

Winkelheide hat ein Konzept für die Seminararbeit mit Geschwistern von behinderten Menschen entwickelt. Als Autorin mehrerer Bücher spricht sie das an, was Kinder und Jugendliche mit einem behinderten Geschwisterkind häufig im Stillen denken. Welche besonderen Bedürfnisse, Ängste und Wünsche haben Kinder und Jugendliche, deren Geschwister eine Behinderung haben? Welche Hilfestellungen kann Geschwistern, Eltern und Verwandten gegeben werden? Diese und andere Fragen sollten an diesem Abend für betroffene Familien der Elterngruppe Down-Syndrom und der Regenbogengruppe beantwortet werden.

Jeder Mensch habe eine besondere Kompetenz, ganz egal, ob er eine körperliche oder geistige Behinderung hat oder nicht behindert ist. Geschwisterkinder müssen verstehen lernen, dass es unsinnig ist, sich für etwas zu schämen, was nicht schämenswert sei, sagte die Referentin. Einen behinderten Bruder oder eine behinderte Schwester zu haben, sei nichts, für dass man sich schämen müsse. Eltern von behinderten und nicht behinderten Kindern müssten lernen, zuzuhören und ihre Kinder ernst zu nehmen.

Man muss den Geschwisterkindern zeigen, dass sie genauso wichtig für einen sind, wie die behinderten Kinder: Das testeten Geschwisterkinder und erwarteten, dass Eltern auch mal für sie Dinge tun, die sie nicht gerne machen. Die nicht behinderten Kinder, so Winkelheide, verlangten für sich die gleiche Aufmerksamkeit, die Eltern den behinderten Kindern geben. Die Eltern sollten auch offen alle Fragen über die Behinderung ihres Kindes beantworten. Geschwister von behinderten Kindern hätten eine andere Kindheit als Altersgenossen, die sie präge. Darüber sollte offen gesprochen werden.

Dabei, so die Referentin, könne die Ehrlichkeit der Kinder für die Eltern auch erschreckend sein. Warum gibt es eigentlich behinderte Kinder? ohne Behinderte wäre die Welt doch viel schöner! oder Warum habe ich eigentlich keinen Bruder, der nicht behindert ist? - das seien Fragen, die Geschwister behinderter Kinder an die Eltern stellten.

Marlies Winkelheide verstand es an diesem Abend, den betroffenen Familien Hilfestellungen zu geben, um mit solchen Fragen besser umgehen zu können. Das Leben mit einem behinderten Menschen sei eine besondere Lebenssituation und stelle eine besondere Herausforderung mit besonderen Möglichkeiten dar. Rund 15 Familien der beiden Eltern-Selbsthilfegruppen nahmen das Angebot war und folgten der Einladung.