Nach einer guten Förderung und Integration im Kindergarten vor Ort oder einem integrativen Kindergarten stellt sich schon bald die Frage nach der richtigen Schulform.
Die Eltern wissen, dass ihre geistig behinderten Kinder bei geeigneter Didaktik und viel Übung die Kulturtechniken (lesen, schreiben, rechnen) erwer-ben können. Leider legen die Förderschulen im Wetteraukreis den Förderschwerpunkt immer noch auf die "Praktische Bildung", also wird für tägliches Frühstück, Einkaufen, Kochen, Kunst, Musik, Turnen, Schwimmen viel Zeit veranschlagt, wohingegen Kulturtechniken mit 2 Stunden pro Woche meist erst ab der 3. Klasse unterrichtet werden. Moderne Lerntheorien, die die Familien auf zahlreichen Fortbildungen kennen gelernt haben, kommen dabei selten zum Einsatz. Hausaufgaben zur Festigung des Erlernten gibt es selten.
Integration würde einen differenzierten Unterricht in Kulturtechniken mit mind. 4 Stunden pro Woche und sozialem Lernen für alle Schüler bedeuten, wird jedoch derzeit in der Wetterau mit immer weniger geistig behinderten Schülern trotz vieler Elternanträge praktiziert. Aus dieser Situation heraus entstand die Schulinitiative: "integrative Sophie-Scholl-Schule Wetterau".
Nähern sich die Schüler nun der Phase des Erwerbslebens, rückt das Thema Arbeitsplatz und Bedeutung der Arbeit für geistig Behinderte in den Vordergrund. Den Wunsch nach sozialer Bedeutung für Andere, von Anderen gebraucht zu werden und für Andere notwendig zu sein gilt es nun zu erfüllen.
Angesichts der immer geringer werdenden sog. "Integrationsarbeitsplätze" in der freien Wirtschaft führt der Weg zwangsläufig in die Werkstatt für Behinderte (WfbM). Die Tätigkeit in einer WfbM sollte nicht vorrangig der Einkommenssicherung sondern der beruflichen Qualifizierung, der persönlichen Förderung und der Eingliederung ins Arbeitsleben (§ 136 SGB IX,2007) dienen.
Doch die Dominanz ökonomischer Interessen bringt es mit sich, dass die Werkstätten im Wetteraukreis vorwiegend auf Industrie-Montage-Arbeiten ausgerichtet sind. Dies sind Arbeiten mit ausgesprochen repetitivem Charakter und daher kaum geeignet, die Lern- u. Entwicklungsfähigkeit der Menschen mit Behinderung zu fördern.
In einer 2009 erschienenen Masterarbeit zum Thema "Arbeit ist mehr als beschäftigt Sein" kommt Irmela Böhler zu dem Schluss "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es der überwiegenden Zahl von Menschen in den WfbM so ermöglicht wird, die eigene Arbeitstätigkeit unmittelbar als sinnvoll und gesellschaftlich bedeutsam zu bewerten."
Allgemein scheinen erwachsene Menschen mit Down-Syndrom, die in WfbM arbeiten, diese Untersuchungsergebnisse zu bestätigen. Sie sind oft dick, behäbig und wirken depressiv, wohingegen sie von ihren Eltern als aufgeweckte, interessierte Kinder und Schüler geschildert werden.
Es wächst daher der Wunsch und das Bestreben einiger Eltern der Familiengruppe Down-Syndrom, im Wetteraukreis für ihre geistig behinderten Angehörigen nach einer anderen Form von Beschäftigung zu suchen. Gedacht wird an Arbeiten in der sozialen Landwirtschaft (auch mit Tieren), was sich günstig auf die geistige und psychische Entwicklung dieser Behinderten auswirkt.(1)
Beispielsweise zeigen Ergebnisse des SoFar-Projektes, "dass sich Europaweit ökologisch wirtschaftende Betriebe in besonderem Maße für die Integration von zunächst landwirtschaftsfremden Personen eignen und vielfach genutzt werden".
In diesem Zusammenhang viel bei Untersuchungen des Forschungsinstituts für ökologischen Landbau auf, dass es viele kleinere landwirtschaftliche Betriebe in ganz Deutschland gibt, die gerne geistig Behinderte bei sich beschäftigen würden. Für die Landwirte stellt sich hier die Frage, wie diese Menschen angeworben, finanziert, organisatorisch angelernt und integriert werden können. Für die Eltern stellt sich die Frage, wie sie Landwirte mit entsprechendem Bedarf finden können. In diesem Zusammenhang formiert sich derzeit ein Netzwerk, in das sich auch Eltern der Familiengruppe Down-Syndrom einbringen, um ihren geistig behinderten Kindern später eine größere berufliche Perspektive bieten zu können, als es heute der Fall ist.
Eine weitere Aktion, die von dem Verein "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen" initiiert wurde, in dem auch Eltern der Familiengruppe engagiert sind, ist die Aktion: "After Parent". Hier geht es darum, dass die Kinder später in Werkstatt und Wohnen unabhängig von ihren Eltern leben werden, die Eltern jedoch eine Instanz suchen, die in der Lage sein wird, ihre Kinder zu verstehen und den verschiedenen Einrichtungen gegenüber deren Bedürfnisse zu kommunizieren. Bisher leisten dies die Eltern, aber diese werden oft von den Institutionen als Kontrolleur und damit als "Gegner" verstanden; die Kommunikation ist oft gestört.
So versucht die Familiengruppe Down-Syndrom immer wieder, selbst aktiv zu werden, wo sie Defizite in der Gesellschaft wahr nimmt. Die Familien tauschen gegenseitig ihre Erfahrungen aus und profitieren voneinander. Veranstaltungen werden organisiert und nicht nur für Familien von Kindern mit Down-Syndrom, sondern auch für andere Eltern, Erzieher, Lehrer, ärztliches Personal, Hebammen und vieles mehr. Sie versteht sich als Keimzelle für Fortschritt, die auf Initiative von Eltern der Familiengruppe Down-Syndrom basiert, sich jedoch immer wieder verselbständigt und eine eigene Dynamik entwickelt und auch entwickeln soll. So werden die integrative Schule, die Disco, die grüne Werkstatt und der After-Parent-Service Einrichtungen werden, von denen alle geistig Behinderten und letztendlich die ganze Gesellschaft Nutzen haben wird.
(Sabine Häusler)