Schilddrüsenprobleme bei Menschen mit Down-Syndrom

Auf dem letzten Elterntreff eines jeden Jahres frage ich die Gruppe regelmäßig, zu welchen Themen eine Veranstaltung gewünscht ist. Dieses Mal wurde das Thema Schilddrüsenerkrankungen bei Menschen mit Down-Syndrom zum Einen und Beruf und Inklusion zum Zweiten gewünscht. Ich übernahm die Organisation der ersten Veranstaltung, da mich selbst das Thema auch besonders interessierte. Schließlich hatte ich schon kurz nach der Geburt unseres Sohnes erfahren, dass die "Basisbehandlung" von Menschen mit Down-Syndrom nach Prof. Schmid auch eine Stimulation der Schilddrüse enthielt. Lange Zeit fuhr ich regelmäßig nach Aschaffenburg, wie andere Eltern unserer Gruppe auch, um ein neues Rezept hierfür zu besorgen. Da in der neueren Literatur von Prof. Schmid (Prof. Franz Schmid wurde 1967 in Aschaffenburg Leiter der Städt. Kinderklinik. Bei seinen dortigen Studien an über 2452 langfristig betreuten Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom stellte er schon damals fest, dass Schilddrüsenprobleme bei der Entwicklung dieser Menschen eine wesentliche Rolle spielen) nicht mehr die Rede war, hörten wir irgendwann mit der Basisbehandlung auf. Jedoch hatte ich immer wieder Zweifel, ob es nicht doch richtig gewesen wäre, die Behandlung fort zu setzen, denn das Wachstum und vielleicht auch die geistige Entwicklung unseres Sohnes schien in den ersten Jahren an der unteren Grenze der Normalität zu verlaufen, später jedoch schien unser Sohn seinem anfänglichen Entwicklungstempo nicht mehr treu zu bleiben.
Nach langem Suchen entdeckte ich Dr. med Tilman Rohrer, einen Oberarzt für Päd.-Endokrinologie an der Universitätsklinik Homburg/Saar. Herr Dr. Rohrer ist selbst Vater von drei Kindern, darunter eins mit Trisomie 21. Somit kann er die Schilddrüsenproblematik, die diese Kinder oftmals aufweisen, auch aus Sicht der Eltern verstehen. Auf meine Anfrage hin erklärte er sich spontan bereit, unsere Gruppe auf einem Elterntreff zu besuchen und uns über Schilddrüsenprobleme, welche zu seinem Forschungsgebiet zählen, aufzuklären.
Am Freitag Abend vor dem Down-Sportlerfestival in Frankfurt durften wir ihn im Bürgerhaus Florstadt zu unserem Elterntreff begrüßen.
Im Bürgerhaus Nieder-Florstadt Er begann mit der Einführung in die Physiologie. Die Schilddrüse ist ein hufeisenförmiges Organ im vorderen Halsbereich, bestehend aus zwei Seitenlappen mit innerer Sektretion. Die Tätigkeit der Schilddrüse wird im Gehirn von der Hypophyse (Hormon: TSH) geregelt. Die Schilddrüsenhormone (T3, T4) fördern Wachstum und kognitive Entwicklung, steigern Stoffwechselvorgänge und Energieumsatz und sind für eine normale Entwicklung unerläßlich. Ein drittes Hormon, Calcitonin, regelt den Calcium- und Phosphathaushalt.
Nach dieser Einführung stellte Herr Dr. Rohrer das weitläufige Bild der verschiedenen Schilddrüsenerkrankungen dar mit besonderem Blick auf Menschen mit Trisomie 21. Oftmals haben sie eine Schilddrüsenunterfunktion. Diese ist im Blutserum durch eine verminderte Menge von freiem T3 und T4 nachweisbar. Mit L-Thyroxin muß diese Hypothyreose in der Regel ein Leben lang behandelt werden. Alle halbe Jahr sollte die Dosierung des zugeführten Hormons überprüft werden und die weitere Hormongabe dem Wachstum des betreffenden Menschen angepasst werden. Bei Dosierungsänderung ist eine erneute Kontrolle nach 6 bis 8 Wochen notwendig.
Ohne die orale Hormongabe bei Hypothyreose kommt es bei Kindern zu Kleinwuchs und kognitiver Stagnation. Ein Bild zweier 12-jähriger Kinder ohne Trisomie, welches Dr. Rohrer uns Eltern zeigte, erschütterte uns sehr. Zeigte es doch ein hoch aufgewachsenes Mädchen und ein Baby mit schrägen Augenfalten und vorstehender Zunge. Das "12-jährige Baby" war in einem Entwicklungsland ohne medizinische Versorgung aufgewachsen.
Da Kinder mit Trisomie 21 in den ersten Lebensmonaten nach dem Neugeborenenscreening nicht mehr auf eine Unterfunktion hin untersucht werden, fällt die Problematik erst mit beginnenden klinischen Symptomen (Obstipation, Müdigkeit, Gewichtszunahme, marmorierte Haut, etc.) auf".!
Es gibt auch die Möglichkeit einer vermehrten Hormonbildung durch die Schilddrüse, das ist die Hyperthyreose und diese verursacht die Basedowsche Krankheit. Die Überfunktion kann auch eine schlechte Muskelsteuerung und Augenbeteiligung zur Folge haben.
Der Vortrag ließ deutlich werden, dass viele Kinder mit Down-Syndrom ihr mögliches Entwicklungspotential u.U. nicht vollständig entfalten können, weil die Schilddrüsenprobleme zu spät (z.B. auf eine sich während des ersten Lebensjahres entwickelnde Unterfunktion hin wird standardmäßig nicht untersucht) erkannt, Schilddrüsenwerte fehleingeschätzt oder scheinbar nur wenig abweichende Werte in ihrer Bedeutung unterschätzt werden.
Dr. Rohrer In der Universitätsklinik Homburg/Saar wird auch eine Wirkung des Folsäurestoffwechsels auf die Schilddrüse untersucht (auf dem überzähligen Chromosom 21 sind Informationen für bestimmte Aminosäuren enthalten, die im gleichen Stoffwechselprozess wie das Homocystein verarbeitet werden). Auffallend positive Entwicklung machten Kinder, welche mit hoch dosierten Folsäure-Präparaten zusätzlich behandelt wurden, während niedrig dosierte Präparate keine Wirkung zu haben schienen. Es steht die Vermutung im Raum, dass Folsäure sich regulierend auf Homocystein, eine Aminosäure, die Auswirkungen auf Depressionen und Demenzerkrankungen im Alter zu haben scheint, auswirken könnte.
Dr. Rohrer erwies sich als fachkundiger aber auch pädagogisch geschickter Referent, der auf die vielfältigen Fragen aus der Elternschaft anschaulich, gut verständlich und fachlich fundiert ein ging. Fragen zu Themen, welche wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt sind, beantwortete er nur so weit, wie es ihm möglich war und ließ auch erkennen, dass weitere Forschung nötig sein wird, um wirkliche Lösungen für die beschriebenen Probleme zu finden.
Alle Eltern waren froh, sich den Abend für das Thema Schilddrüse und den Vortrag durch Dr. Rohrer frei genommen zu haben. Wer keine Babysitter-Not hatte, blieb anschließend noch zu "Pommes mit Spieß", Salat oder einer anderen Stärkung und nach einem lockeren Erfahrungsaustausch unter Eltern endete der Abend zu aller Zufriedenheit.
Herrn Dr. Rohrer sei noch einmal gedankt, dass er sich den Abend für uns Zeit genommen hat. Er fuhr anschließend noch nach Hause, um am nächsten Tag mit seiner Familie am Down-Sportlerfest teilnehmen zu können.
Barbara Tulatz / Sabine Häusler