Werkstätten-Messe Nürnberg 2011

Auch die diesjährige Messe bot den Besuchern einen großen Überblick über Ideenreichtum und Produktionen von WfbM. Die in meinem Artikel über die Messe 2010 aufgeführten Adressen sind hier nicht mehr genannt, gelten aber noch in gleicher Weise. Insgesamt 95 Fachvorträge wurden zusätzlich angeboten, die nicht immer völlig neue Themen ansprachen sondern sich teilweise aus letztem Jahr wiederholten. Angenehm und besonders zeitsparend ist die geballte Präsenz von Werkstattleitern, Bereichsleitern und Fachleuten aller Art. Ohne umständliche Terminabsprachen und weite Anfahrten können hier an Ort und Stelle die richtigen Leute angesprochen werden.
Mir fiel auf, daß sich das Angebot an Dienstleistungen für Werkstätten oder Wohnheime erweitert hatte. So gibt es genügend Software-Anbieter für diese und andere soziale Einrichtungen, um die gesamte Fachdokumentation und Leistungsabrechnung zu verein- fachen (z.B. www.geteco.de, www.connext.de) Firma Miro GmbH bietet ein Dokumentationsinstrument MELBA, mit dem im Ergebnis das Fähigkeitsprofil eines Behinderten mit dem Anforderungsprofil einer Tätigkeit verglichen wird. Das Ergebnis soll einen fähigkeitsgerechten Personaleinsatz und eine Förderplanung ermöglichen (www.miro-gmbh.de). Das effektive Erkennen von Kompetenzen kann auch mit "hamet e" = Handlungsorientiertes Testverfahren zur Erfassung und Förderung elementarer Kompetenzen für berufliche Bildung und Arbeit - oder "hamet 2" = Handlungsorientierte Module zur Erfassung und Förderung beruflicher Kompetenzen - erfolgen. Die Firma bietet ihre Software für etwa 800 Euro an + ca, 200 Euro f. 1 Mann/2 Tage. Die persönliche Erfassung pro Behinderten dauert etwa einen Tag (www.hamet.de). Dieses Verfahren war dem Leiter der Werkstatt des Main-Kinzig-Kreises bereits sehr gut bekannt und wird dort eingesetzt.
Mit beruflicher Bildung beschäftigt sich auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (www.bagwfbm.de). Hier wird eine Plattform und Datenbank "aktionbildung" geboten, um Anregungen für eigene Entwicklungsprozesse zu holen. Im Juni 2010 wurde ein neues Fachkonzept für den Berufsbildungsbereich in den Werk- stätten veröffentlicht. Alle Einrichtungen sind nun aufgefordert, ihre Bildungskonzepte danach auszurichten und bei der Agentur für Arbeit einzureichen. Für viele Einrichtungen war dies Anlass, ihre Konzeptionen grundsätzlich zu überarbeiten oder leider auch erstmals zu erstellen. Ich beglückwünsche daher alle Behinderten im Wetteraukreis, deren Berufsbildungsbereich erst jetzt beginnt und nicht schon in den Jahren zuvor lag. Wünschenswert wäre eine Fortsetzung dieser Methode auch im Arbeitsbereich unter der Regie des dafür zuständigen Trägers, nämlich des LWV.
Interessant ist auch die Europa-Akademie, einem Fortbildungs-Institut, das Inklusion und Teilhabe in Prozessen erlebbar gestalten möchte. Der fachliche Beirat ist durch Experten aus Deutschland und Europa besetzt. Nehmen Sie teil am Angebot des Fortbildungs-Inst. mit den zentralen Themen Inklusion und Teilhabe oder z.B. einem Kurs "Wege zwischen Überforderung und Überbehütung" oder z.B. "Produktionsassistenz" Ausbildung vom Werkstattbeschäftigten zum Produktionsassistenten (www.europa-akademie.info).
Mit Qualitätsmanagementsystemen in Werk- und Wohnstätten beschäftigt sich z.B. www.dqs.de oder www.geteco.de.
Angeregt durch den Gedanken der gesetzlich verordneten "Teilhabe" bietet www.capito.eu Dienstleistungen auf dem Gebiet der einfachen Sprache an. Hier werden Informationen oder rechtliche Vereinbarungen (z.B. Arbeitsverträge der Werkstatt) für die Behinderten in eine verständliche einfache Sprache umgeschrieben. Die Geschäftsführerin Vera Sokol ist eine beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige. Sie ist bisher vorwiegend in Österreich für barrierefreie Information bekannt.
Mit "Bildungs- u. Qualifizierungs-Management" in Werkstätten befasste sich ein Vortrag von Vanessa Kubek (Institut f. Technologie u. Arbeit e.V., Kaiserslautern). Es wurde ein Modellprojekt in Rheinland Pfalz vorgestellt, das eine stärkere Differenzierung nach Leistungsfähigkeit und Behinderungsart zum Ziel hat. Man arbeitet mit Kompetenz- Messverfahren, Qualifik.Bedarfsanalysen, Maßnahmenplanung, Bildungskontrolling und Bildungsmarketing. Meine Frage nach den Auswirkungen von Monotonie bei der Arbeit auf geistig Behinderte konnte Frau Kubek nicht beantworten. Sie will sich aber informieren und mir noch Bescheid geben.
Ein weiterer Vortrag behandelte die Ausweitung des Angebotes der WfbM. Es handelt sich im Wesentlichen um folgende Möglichkeiten:

Integrationsprojekte

SGB IX, § 132 benennt den Personenkreis
Mind. 25 % schwerbehind. Menschen
Max. 50 % Behinderte
§ 133 nennt die Aufgaben
§ 102, Abs. 3 Leistungen
Diese Integrationsbetriebe erhalten Zuschüsse und Förderungen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe. Beispiel hierfür war für mich ein Unternehmen (Name wird nicht genannt), das insgesamt 8 Behinderte beschäftigt, die Bio-Körner-Knäckebrot eintüten. Das restliche Produktprogramm besteht aus Bio-Marmeladen, Bio-Chutneys, Säfte, Öle usw., das komplett industriell hergestellt wird. Abwechslung, Förderung der Behinderten o.ä. gibt es nach Rückfrage von mir dort nicht (man erfährt dies nur, wenn man richtig fragt). Hier sehe ich eben auch Nachteile dieser "Integrations-Arbeits- plätze".

Unterstützte Beschäftigung

SBG IX, § 38 a
Ermöglicht den Behinderten eine sozialvers.-pflichtige Beschäftigung
Ermöglicht den Behinderten betriebl. Qualifizierung und
Ermöglicht den Behinderten bei Bedarf Berufsbegleitung
maximale Dauer: 2 Jahre
Leistungserbringer sind: Integrationsfachdienste u. andere Träger, auch WfbM
- Persönl. Budget
SGB IX, § 17
Unter der Vielzahl von Ausstellern u. Werkstätten ist u.a. hervorzuheben unser Nachbarkreis, hier das Behinderten-Werk Main-Kinzig e.V. Dieses Werk war mit drei Ständen auf der Messe vertreten, was schon aus dieser Sicht einmalig war. Das Angebot kann sich sehr gut sehen lassen. Es werden 8 Werkstätten betrieben mit allen erdenklichen Dienstleistungen und Fertigungen. Das Engagement für die Behinderten wird in den Gesprächen spürbar. Man kennt sich aus mit Leistungsbeurteilungen und hat qualifiziertes Personal. Mein Gesprächspartner, Herr Ott, ist z.B. Leiter der Werkstatt für psychisch Kranke in Altenhaßlau. Er ist Dipl.-Pädagoge u. Dipl.Sonderschullehrer und hat sich sehr viel Zeit für ein Gespräch mit mir genommen. Das Werk betreibt auch Landwirtschaft auf dem Hofgut Marjoß, vermarktet von dort Fleisch- u. Wurstwaren, vergibt Patenschaften für dortige Hühner, beliefert Kantinen mit Kartoffeln. Auch Holzverarbeitung (z.B. für Imkereibedarf), Garten- u. Landschaftspflege, Büroarbeiten, Datenarchivierung, Metallverarbeitung, Wäschereiarbeit, Montage, Sortierungen usw. werden angeboten.
Der landwirtschaftliche, grüne Bereich wurde wieder überregional vertreten durch FIBL (Forschungsinstit.f.biol.Landbau, Frankfurt). Der Geschäftsführer Dr. Hermanowski kennt Trends und fördert den Praxisaustausch. Frau Rebecca Kleinheitz referierte über das neue Netzwerk ALMA (Abkürzung f. Arbeitsfeld Landwirtschaft mit allen). Durch dieses neue Netzwerk soll Menschen mit Behinderung die Chance gegeben werden, an speziell auf sie zugeschnittenen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft zu arbeiten. Andererseits werden Landwirte und Gärtner ermutigt, mit Behinderten zusammenzuarbeiten. Besonders erfreulich ist die Tatsache, daß Hans-Joachim Häusler, ein Mitglied unserer Elterngruppe Down-Syndrom, hier im Vorstand mitarbeitet.
Die vielen wunderschönen Produkte, die auf der Ausstellung angeboten und präsentiert wurden, werden vorwiegend von Gruppenleitern der Werkstätten erdacht und entworfen. Sollten hier aber mal die Ideen ausgehen oder Ängste entstehen, was die Vermarktung betrifft, so ist auch diesen Problemen schon vorgebeugt: Das Verbund-Projekt VIELFALT bietet eine Kooperation mit anderen Werkstätten mit dem Ziel der gemeinsamen Vermarktung. Die vom Verbund ausgewählten Artikel werden in jedem der teilnehmenden Werkstattläden angeboten und verkauft.
Das entsprechende Design kann von Fachleuten unter www.sidebyside-design.de erdacht werden. Die Ausstellung bot beeindruckende Modelle an.
Zum Abschluß etwas zur Entspannung: Ein schönes Freizeitangebot gibt es vom Verein für sozialpädagogisches Segeln e.V. Gruppen mit Behinderten können dort Segeln oder Paddeln auf zweimastigen offenen Holzkuttern oder zwei Robinson-Minikuttern. Sie bieten Platz für bis zu 15 Personen. Gewohnt wird auf Wunsch in 5 Schlafzelten mit Holzböden und Zeltbetten. Die sanitären Anlagen sind so ausgelegt, dass sich auch Menschen mit schwerer Behinderung dort versorgen können. Es gibt aber auch eine Freizeitanlage mit barrierefreien Ferien- Zimmern. Auskünfte unter www.vss-ev.de und www.cap-rotach.de .
Einfach beneidenswert empfinde ich die Situation aller Berliner Behinderten. Dort gibt es sage und schreibe 17 Werkstätten für Behinderte, die z.T. sehr aktiv sind und auch in Nürnberg auf der Messe vertreten waren. Da man dann keine Monopolstellung für sich in Anspruch nimmt, erfordert die vorhandene Konkurrenz viel Veränderung, Verbesserung und Bewegung, was den Behinderten dort deutlich zugute kommt. Diese Situation würde ich mir natürlich für uns alle hier sehr wünschen.
Anne Hilss